Mein erster Flug

Mehr als die Hälfte meines Lebens habe ich bereits gelebt und war noch nie mit einem Flugzeug geflogen. Letzte Woche Donnerstag war es soweit. Viele Freunde meiner Cousine und ich flogen nach Malaga und fuhren mit dem Bus nach Granada, wo wir bis Sonntag blieben.

Ich war aufgeregt, aber positiv erwartungsvoll. Angst hatte ich überhaupt nicht.

Als wir endlich im Flugzeug saßen, dauerte es noch, bis sich das Flugzeug bewegte. Wie ein Bus auf unebenen Straßen. Irgendwann wurden wir schneller und dann hoben wir ab. Kein Gerapppel mehr. Ein Gefühl von Freiheit.

Langsam wurde die Aussicht kleiner. dann kamen Wolken. Wir flogen hindurch und es war grandios! Über den Wolken scheint die Sonne und die Wolken sind wunderschön. 

Reinhard Meys Lied "Über den Wolken" hat mich begleitet und genauso habe ich es empfunden. 

Die Tage in Granada waren unbeschreiblich schön. Die Gruppe Menschen, die sich vorher nur teilweise kannte, hat wunderbar zusammengepasst. Jeder war tolerant, jeder hat in kritischen Momenten zurück gesteckt. 

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Schwere Zeit

Die letzten Monate waren anstrengend. Mutti, die wir sonst als Kämpferin kannten, baute immer mehr ab und wurde immer abhängiger von unserer Hilfe. Das wollte sie sich aber nicht eingestehen und hat lange einen Pflegedienst abgelehnt.

Dann musste sie wieder ins Krankenhaus und bestand darauf, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Sie war extrem geschwächt, konnte nicht allein aus dem Bett, von Laufen nicht zu sprechen. Aber sie meinte, das kriege sie schon hin. Da keine von uns die Möglichkeit hatte, sie aufzunehmen und sie laut ärztlicher Meinung für eine Rehamassnahme körperlich nicht in Frage komme, haben wir einen Aufenthalt in einem Pflegeheim zur Kurzzeitpflege organisiert. Aufgrund der Kapazitäten war nur ein Aufenthalt von 10 Tagen möglich, obwohl sie laut Ärzten 3-4 Wochen gebraucht hätte.

Das hat Mutti uns sehr übel genommen. Sie dachte, wir wollen sie abschieben. Erst nach vielen Gesprächen und der Versicherung, dass es nur 10 Tage wären, konnte sie sich darauf einlassen. Auf die Menschen dort jedoch nicht. Sie fand alles furchtbar! Jeden Tag war mindestens eine von uns bei ihr. Sie hat jegliche Aktivitäten dort abgelehnt. Schließlich wären die anderen alle "scheintot". 

Nachdem sie wieder zu Hause war, hielt ihre Hilfsbedürftigkeit an. Jeden Tag war eine von uns bei Ihr. Endlich akzeptierte sie den Pflegedienst. Allerdings hatten die leider nur Kapazität für drei mal die Woche duschen. Andere Pflegedienste nahmen keine neuen Pflegepersonen auf. Immerhin, dachten wir, dann ist drei Mal die Woche jemand da und für uns entspannt sich die Situation. So war es aber nicht. Dennoch musste jeden Tag eine von uns hin.

Sie fiel immer öfter einfach um und zog sich Verletzungen zu. Einmal kam meine Schwester morgens zu ihr, da hatte sie die ganze Nacht zwischen Couch und Tisch auf dem Boden gelegen. Wir beantragten eine Höherstufung der Pflegestufe. Bevor der Termin vereinbart wurde, war Mutti wieder im Krankenhaus. Die Begutachtung sollte dann nach dem Aufenthalt stattfinden.

Problemlos wurde sie von Stufe 2 in Stufe 4 hochgestuft. Aber das half uns nicht. Trotzdem gab es keine Möglichkeit, eine häufigere Pflege durch den Pflegedienst zu erhalten. Es waren keine Kapazitäten vorhanden.

Mutti konnte nur noch sehr wenig selber. Manche Tage blieb sie einfach im Bett. Sie Aß nicht mehr und trank viel zu wenig. Ihr Zustand verschlechterte sich, obwohl wir weiterhin möglichst einmal am Tag da waren. Mutti wollte nun, dass wir ein Pflegeheim für sie suchen, obwohl das immer ihr Alptraum war. Aber es ging nicht mehr. Wir suchten also. Mutti hatte sich dann auf eins eingeschossen. Dort sind meine Schwestern mit ihr zur Besichtigung gewesen. Mutti wollte dort hin. Wir waren entsetzt. Es war ein heruntergekommenes Haus, nicht barrierefrei und mit nicht besonders guten Kritiken im Internet. Aber Mutti wollte hin. Also klärten wir die Formalitäten und bekamen einen Platz für den 03.09.

Kurz danach kam Mutti wieder ins Krankenhaus. Sie war ausgetrocknet. Aufgrund der Nierenerkrankung sollte sie nicht viel trinken aber das Wetter hätte dann doch mehr trinken gebraucht.

Meine kleine Schwester holte sie nach diesem Krankenhausaufenthalt wegen Austrocknung für eine Woche zu sich. Dann musste sie wieder arbeiten und Mutti wollte nach Hause. Sie wollte auch nicht zur anderen Schwester, obwohl diese auch gerade Urlaub hatte. Mutti sagte, dass sie Zeit brauche, sich von der Wohnung zu verabschieden. Jeden Tag waren wir bei ihr. Ich war Dienstag da. Es ging ihr recht gut. Während ich einkaufen war, hat sie Küche und Wohnzimmer aufgeräumt und sauber gemacht. Als ich zurückkam, lag sie erschöpft auf der Couch und schlief.

An dem Tag haben wir viel gescherzt und gelacht. Sie bat mich noch, nach dem Computer zu gucken. Der funktioniere nicht mehr. Dort war aber alles in Ordnung. Der Browser war auf Facebook eingestellt mit automatischer Anmeldung und auch der Bildschirmschoner mit den Bildern aus dem Südafrikaurlaub funktionierte einwandfrei.

Ich bin da noch nicht auf die Idee gekommen, dass Mutti einfach nicht mehr damit umgehen konnte. Sie machte einen wachen, teilnehmenden Eindruck auf mich.

In Wirklichkeit wurde ihr Körper und auch ihr Gehirn vergiftet. Neben der Niereninsuffizienz hatte sich in der einen noch funktionierenden Niere ein aggressiver Tumor mit starkem Wachstum entwickelt. 

Freitag war mittlere Schwester schon früh bei ihr. Mutti wollte unbedingt duschen. Es war ja ein Duschtag vom Pflegedienst. Mutti brachte Schwester dazu, dort anzurufen, Mutti würde auf die Dusche warten. Der Pflegedienst meinte, es wäre eine Pflegerin unterwegs.

Mittlere Schwester hatte noch Termine und verabschiedete sich gegen 10 Uhr, der Pflegedienst kam ihr entgegen, muss spätestens um 10:05 Uhr dagewesen sein.

Mutti wurde dann geduscht. Sie erzählte mir später, wie sie diese Dusche genossen hat. Erst auf dem Duschhocker, dann konnte sie sogar aufstehen und hat das warme Wasser unendlich genossen. Sie hat immer wieder mehr gewollt, wenn die Pflegerin aufhören wollte und sagte mir, das wäre so schön gewesen. Das warme Wasser im Gesicht und auf dem Körper.

Dann war die Pflegerin weg und Mutti im Wohnzimmer. Plötzlich habe es in ihrem Bauch so gerissen, als wäre etwas kaputt gegangen.

Sie ist dann zum Badezimmer gegangen und hat sich auf die Toilette gesetzt. Als sie dachte, sie könne aufstehen, hat sie es gemacht und dabei ist ihr schwarz vor Augen geworden. Sie konnte sich dann am Waschbecken fangen. Danach gehen ihre Schilderungen auseinander.

Zuerst erzählte sie, dass sie dann mit dem Rollator ins Wohnzimmer gegangen ist und Schwester 2 angerufen hat.

Dann erzählte sie, dass sie im Badezimmer auf dem Boden lag und sich an der Toilette hochgezogen habe, um dann mit dem Rollator ins Wohnzimmer zu gehen und Schwester 2 zu informieren. Unstrittig ist jedoch, dass sie am Telefon gesagt hat, dass sie stark blute.

Schwester 2 sagt, dass sie gerade erst zu Haue war, als Muttis Anruf kam. Das alles hatte sich in der letzten Stunde zugetragen. Schwester 2 informierte sofort Muttis Nachbarn und bat ihn, den Rettungswagen zu informieren. Der Nachbar ging auch sofort zu Mutti. Sie wollte aber keinen Rettungswagen. Der Nachbar, etwas über 30 und eher hilfebedürftig, traute sich nicht, den Rettungswagen zu alarmieren. Etwa 30 Minuten später war Schwester 2 wieder vor Ort, hat sofort den Rettungsdienst gerufen. Mutti hatte starke Blutungen aus dem Urogenitalbereich. 

Schwester 2 hat mich und kleine Schwester sofort informiert. 

Als ich die Nachricht hörte, bildete sich ein Knoten in meinem Bauch. Das wars, Mutti stirbt - war mein erster Gedanke.

So schnell wie möglich fuhren wir hin. Ich hatte noch Sohn 1 informiert und er kam mit seiner Frau praktisch gleichzeitig mit mir an. Schwester 2 war inzwischen in Muttis Wohnung, um Sachen für den Krankenhausaufenthalt zu packen.

Mutti wollte nach draußen. Wir besorgten einen Rollstuhl und gingen mit ihr raus. Sie wollte Rauchen, also rauchten wir. Es ging ihr sehr schlecht. Sie konnte kaum reden und das nur leise und mit vielen Unterbrechungen. Immer wieder zitterte ihr ganzer Körper und ich hatte Angst, dass sie hier draußen sterben könnte.

Irgendwann kamen meine Schwestern. Mutti wollte dann noch einmal rauchen, obwohl wir eigentlich auf dem Weg nach oben waren.

Dann brachten wir sie hoch. Dann weiß ich nicht mehr, was genau gewesen ist. irgendwann kam wohl ein Kardiologe und hat den Defibrillator ausgeschaltet. Danach ging es Mutti viel besser. Sie konnte wieder reden und hat mit allen gescherzt. Da die Schwestern meinten, das könne sich stabilisieren und noch viele Tage dauern, sind wir dann spätabends gefahren, obwohl Mutti fragte, wer denn bei ihr bliebe. Wir wollten unsere Kraft aufsparen für die Nächte, die noch kommen und hatten dabei Vatis Abschied im Kopf. 

Am nächsten Morgen gegen 5 Uhr rief das Krankenhaus Schwester 2 an, es wäre besser, wenn wir kommen. Sie hat gleich uns angerufen und wir sind hingefahren. Gegen 8 Uhr hat Mutti noch bewusst die Krankensalbung empfangen, danach schlief sie. Viele Verwandte und Freunde kamen im Lauf des Tages und haben Abschied genommen. 

Als Mutti um 17:28 Uhr ihren letzten Atemzug nahm, war sie umarmt von Silke, Steffi, Bene, Bastian und Bine.

Sie schlief ruhig ein, geborgen im hier und willkommen im dort.

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Schlechte Nachricht

Heute früh kam in unserer Familiengruppe die Nachricht, dass M, Muttis Schwester, im Krankenhaus ist. Sie habe seit Sonntag starke Bauchschmerzen. Es würde eine Bauchspiegelung gemacht.

Das Ergebnis war, dass sie einen Blinddarmdurchbruch mit Bauchfellentzündung hat. Sie liegt jetzt auf der Intensivstation.

Seit wir das wussten, habe ich ein Gefühl gehabt, als könne ich nicht mehr atmen. Das darf doch jetzt nicht sein. Freitag ging es ihr gut. Sie ist die Letzte von Muttis Schwestern. 

Bis sie sich um 17:28 Uhr selbst meldete und sagte, es ginge ihr viel besser und sie hoffe, morgen auf Normalstation zu kommen. Als ich das las, musste ich aus Erleichterung erst mal weinen.

Immer schon war ich sehr abhängig davon, dass es meine Familie gibt. Meine Basis wird immer kleiner, nur noch M und E sind übrig. Vielleicht muss ich die Etage wechseln auf Geschwister und Cousinen und Cousins. Aber noch brauche ich die Ebene unter mir. 

Auch mit über 50 Jahren Leben brauche ich diese Sicherheit, dass da noch jemand ist, der mich mit meiner Kindheit verbindet. Der mich erdet. Jemand, der Autorität hat. Jemand, der uns alle zusammen hält.

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Kein guter Tag

Heute war kein guter Tag.

Seit dem Aufstehen hatte ich einen Kloß im Hals und Druck im Kopf. Die Arbeit lenkte mich meist ab, aber immer wieder musste ich mich zusammen nehmen. Mir standen die Tränen in den Augen.

Erst später wurde mir bewusst, dass Mutti jetzt genau einen Monat tot ist. Da war mein Unterbewusstsein schneller. Es ist unglaublich, wie die Zeit vergeht. Und es ist unglaublich, wie sehr sie mir fehlt.

Wenn ich beim Einkaufen alte Menschen sehe, schießen mir die Tränen in die Augen.

Wenn ich etwas sehe und denke: das könntest du Mutti mitbringen, kommt der Hammer und ich kämpfe darum, nicht haltlos zu weinen.

Wenn ich etwas erlebe und denke, dass musst du Mutti erzählen, falle ich in ein tiefes Loch.

Mutti ist so präsent, so ein Teil von mir, dass sie ständig fehlt. Es ist so irreal, dass ich nach Steckenborn fahre und sie ist nicht da - sondern ich werfe Sachen weg, an denen ihr Herz hing.

Das ist so schwer.

Ich war noch nicht wieder am Grab. Da ist sie für mich nicht. Sie ist überall, aber nicht da.

Und nicht hier.

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Nochmal Abschied

Die letzten Wochen waren meine Schwestern und ich jedes Wochenende in Muttis Wohnung und haben Muttis und Vatis Leben sortiert. Entschieden, was wir behalten, was noch gesichtet werden muss und was weg kann. Das war nicht leicht. Einige Möbel fanden neue Besitzer, das tat gut. Aber heute war der Tag des endgültigen Leerräumens. Es war schwer. Die Küchenschränke, die seit mehr als 50 Jahren da waren, sind nun Sperrmüll. Stück für Stück haben wir die Wohnung geräumt. Sie ist nun besenrein, bereit für die Übergabe. Uns blutet das Herz. Es tut so weh. Die letzten 10 Jahre war das zuhause, weil Mutti und Vati da waren. Jetzt ist es leer, weg.

Nun bleiben die Danksagungen, das Sechswochenamt und der Steinmetz, für eine schöne Platte.

Vati wird auch darauf stehen. Das ist mit Mutti so abgesprochen. 

Wir waren heute am Grab und habe uns gefreut, dass der Blumenschmuck immer noch schön ist. Wir haben eine Kerze aufgestellt. 

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