Nach Hause

Alles klar, sagte sie, ich kümmere mich darum. Mojah streckte ihre Beine und genoss das Knacken, das zeigte, dass ihre Glieder wieder frisch und sortiert waren. Sie öffnete die Tür ihres Quartiers und eilte den Gang entlang zur Dienststelle. Sie kam am Kinderzimmer vorbei und öffnete trotz der Eile die Tür. Rajah war heute diensthöchste Amme. Bereite alles vor, bald geht es los, flüsterte Mojah. Rajah nickte. Sie hatte verstanden.

Auf dem Weg zum Kommandostand begegnete Mojah unzähligen Kameraden. Schwer beladen die Versorgungstruppen mit Nahrungsmitteln, Ammen, die ihre Schützlinge zu den neuen Kinderzimmern brachten und Soldaten, deren Aufgabe es war, für Ordnung zu sorgen. Kaum jemand nahm Notiz von ihr. Ihre sechs Füße trommelten den Gang entlang. Äußerlich merkte man nichts von der Anspannung, die seit dem Telegespräch heute früh ihren Magen zusammenpresste. Ihr Herz schlug längst nicht mehr im normalen 200 Hertz-Bereich, es überschlug sich geradezu. Endlich sollte es losgehen! Unendlich viele Jahre waren sie bereits hier auf diesem Planeten, der einerseits gute Lebensbedingungen bot aber andererseits wortwörtlich riesige Probleme barg. Sie waren gezwungen, sich im Boden zu verstecken, ihre Basis unterirdisch aufzubauen.

Mojah war von Anfang an dabei. Ihre Gedanken wanderten zurück, während ihre Füße den Weg selbständig fanden.

 

Es hatte ein unendlich lautes Geräusch gegeben. Mojah, noch in ihrem Kokon, hatte sich kleiner und kleiner zusammen gekrümmt. Wenn ich mich ganz klein mache, passiert mir nichts, waren ihre Gedanken. Und es hatte funktioniert. Als endlich wieder Ruhe eingekehrt war, wurde ihr Kokon sanft angehoben und irgendwo hin getragen. Der Weg erschien ihr endlos, aber sie hatte ja keine Vergleichsmöglichkeiten. Schemenhaft wechselte das Licht, das ihre Augen traf. Kälte kroch in ihren Körper und entfachte Panik. Kälte war ihr Tod! Auch wenn sie noch nicht geschlüpft war, ihr Geist noch nicht geweckt, wusste sie instinktiv, dass Kälte ihr Feind war. Einer von vielen, wie sie noch lernen sollte. Aber es wurde wieder wärmer. Dunkelheit hüllte sie ein. Vorsichtig wurde sie in ein weiches Bett gelegt, tröstend streichelten die Hände ihrer Amme sie in den Schlaf.

 

In Mojahs Kindheit und Jugendzeit wurde ihr das Ausmaß der Katastrophe bewusst, das während ihrer Brutzeit über ihr Raumschiff hereingebrochen war. Sie waren auf einen unbekannten Planeten abgestürzt. Zum Glück waren die Atmosphäre und die Umgebungstemperatur erträglich. Der Planet war bevölkert von Bewohnern unterschiedlichster Art. Es gab Völker, mit denen sie in Kontakt treten konnten, die sich in ihrer Größe kaum von ihnen unterschieden. Leider waren diese Völker sehr primitiv. Sie hatten keinerlei Organisation, jeder lebte irgendwie für sich. Dann gab es Lebewesen, die in Gruppe organisiert waren. Sie schienen eine rudimentäre Kommunikation zu pflegen. Allerdings waren sie riesig und nahmen keine Notiz von Mojahs Volk. Außerdem gab es noch die Hünen, riesenhafte Wesen, die mit einem Fußtritt dutzende aus Mojahs Volk vernichten konnten. Sie hatten gelernt, mit den Hünen zu leben, ihnen aus dem Weg zu gehen, während sie alle Anstrengungen darauf richteten, ein neues Raumschiff zu bauen, das sie zurückbringen würde.

 

Mojah schüttelte mit einer energischen Bewegung die Gedanken an die Vergangenheit ab. Der dumpfe Geruch feuchter Erde umgab sie. Das Raumschiff war endlich fertig, der Weg nach Hause lag einladend vor ihnen. Es fehlte noch an Proviant. Ihr Offizier hatte ihr heute Morgen mitgeteilt, dass es eine ergiebige Quelle in der Nähe gab. Leider war die Nahrungsquelle im Territorium der Hünen.

Mojah schickte Nachrichten an ihre Offiziere, sich mit ihren Truppen aufzustellen. Als sie das Tor zur Oberwelt erreichte, standen zehn Kompanien bereit. Die Kollegen vom Spähtrupp klärten sie über den Weg und die zu erwartenden Gefahren auf. Mojah wandte sich an ihre Offiziere und Truppen. Ihr wisst, worum es geht, sagte sie. Unser Ziel ist die Heimat! Wir werden sie erreichen, aber wir brauchen Vorräte. Unsere Aufgabe ist es, diese zu beschaffen. Gebt euer Bestes, damit wandte sie sich um und folgte den Hinweisen der Späher.

 

Die Sonne malte goldene Flecken auf den Weg, der Duft nach Raps begleitete sie. Mojah lausche zufrieden dem rhythmischen 1-2-3 - 1-2-3 hinter sich. Endlich erreichten sie den Holzpflock, von dem die Späher erzählt hatten. Mojah sammelte ihre Truppen um sich. Ab jetzt gilt höchste Vorsicht, sagte sie, wenn wir oben sind, gibt es nur noch Nahrung fassen und zurück. Nehmt Euch vor den Hünen in Acht.

Der Spähtrupp hatte nicht zu viel versprochen. Fleisch, Süße, Fett - alles war hier versammelt. Wenn sie erfolgreich wären, könnten sie heute noch nach Hause starten. An der Spitze ihres Trupps kletterte Mojah den Holzbalken zur Terrasse der Hünen hinauf, ihre Truppen folgten.

Die Hünen saßen auf riesigen Gestellen um einen unendlich großen Tisch herum, von dem die lockenden Gerüche zu Mojah drangen. Sie führte ihre Truppen zu den Quellen der Gerüche: Fleisch, Obst, Butter. Natürlich bemerkten die Hünen sie, das war eingeplant. Daher war Schnelligkeit gefragt. Mojah hatte sich strategisch günstig mitten auf dem Tisch platziert, um ihre Truppen zu steuern. Es funktionierte hervorragend, alle Soldaten nahmen Nahrung auf und traten den Rückweg an.

Ein Schatten schob sich zwischen Mojah und die Sonne. Mohjas Truppen waren längst auf dem Rückweg. Sie rannte, plötzlich knallte sie gegen Nichts. Mojah lief hin und her, aber überall gab es diese unsichtbare Wand.

 

Hey, ich hab eine, rief der Hüne euphorisch, diese blöden Ameisen!

 

Ein Rumpeln und Beben, flirrendes Sirren erfüllte die Luft, als sich das Raumschiff vom Boden des Planeten löste.

 

Sie haben es geschafft, dachte Mojah. Glückliche Reise, mein Volk!