Das Loch

Frau Menke hält meine Hand fest. Mein Arm ragt in die Höhe. Ich mustere meine Schuhe. Es ist kein Sand darin. Der Boden hat ein Klecksemuster. Einer sieht aus wie ein Elefant, der tanzt.

„Nun?“ Frau Menke zieht meinen Arm noch ein wenig höher. „Du wolltest Deiner Mutter etwas sagen!“

Ohne den Kopf zu heben, drehe ich die Augen, um Mama anzusehen. Sie schaut ein mich streng an, in Ihren Augen sehe ich die Frage: Was hat Du wieder angestellt?

Frau Menke drückt meine Hand ein wenig fester.

„Ich habe mit der Schaufel hinten am Zaun im Gras ein Loch gebuddelt.“ Jetzt ist es raus. Ich beobachte den tanzenden Elefanten. Niemand sagt etwas. Ich schiele zu Mama. Nun steht eine Frage in ihrem ganzen Gesicht.

Sie hockt sich vor mich und dreht mit der Hand meinen Kopf, so dass sie mir in den Augen gucken kann. „Warum hast Du das gemacht? Ihr habt doch einen schönen Sandkasten, in dem ihr Löcher graben könnt.“

„Ich mag den Sandkasten nicht. Da habe ich immer Sand in den Schuhen, das piekst.“

Mama schaut Frau Menke an. Irgendwie reden sie miteinander, ohne etwas zu sagen. Dann sagt Frau Menke: „Geh in den Gruppenraum und setze dich  an einen Tisch. Wir kommen gleich zu Dir.“

Also gehe ich und setze mich, während Frau Menke Mama den Rest erzählt.

 

Nach dem Frühstück durften wir nach draußen. Ich holte mir eine Schaufel, denn ich wollte ein Loch bis zur anderen Seite buddeln, um zu sehen, ob da alle auf dem Kopf rumlaufen. Frau Menke hatte nämlich ein Buch vorgelesen, in dem stand, dass die Erde rund ist wie ein Ball.

Damit mich niemand stört, habe ich mir einen Platz hinter den Büschen am Zaun gesucht und fing an zu graben. Das ist viel schwerer als im Sandkasten. Irgendwann lag ich neben dem Loch, weil es war schon richtig tief, da war etwas Hartes im Weg. Ich grub mit den Fingern drumrum und dann lag sie da: eine richtig tolle Spielzeugpistole aus Metall mit einem braunen Griff. Vorsichtig wischte ich sie an meinem Pulli sauber. Die musste ich unbedingt Jonas zeigen!

 

Als ich mit der Pistole suchend durch den Hof lief, sah mich natürlich Frau Menke.

„Was hast Du da, Josefine? Gib mir das – sofort!“

Ich versuchte, vor ihr wegzulaufen und streckte die Hand mit der Pistole hoch hinter meinen Kopf, damit sie nicht drankam. Natürlich kam sie doch dran, aber dann knallte es furchtbar laut und Frau Menke ließ mich vor Schreck los. Meine Pistole war ins Gras gefallen. Ich hob sie auf und lief so schnell ich konnte davon.

Komischerweise war jetzt unsere Alarmanlage für den Feueralarm am Heulen. Wir hatten erst letzte Woche geübt, was man dann tun muss, also gingen alle Kinder und Erzieher in den vorderen Hof und verließen das Gelände. Nur ich habe mich wieder hinter den Büschen versteckt.

 

Bald hörte ich viele Sirenen und schlich mich neugierig an die Ecke vom Haus, um zu gucken was los war. Da standen so viele Feuerwehrautos, dass ich sie gar nicht zählen konnte. Und ich kann schon bis fünf zählen!

Alle blinkten und machten Lärm. Ganz viele Feuerwehrmänner waren da und liefen umher, wie die Ameisen, als ich einmal im Wald mit einem Stock in einen Ameisenhügel gepiekt habe.

Verwundert schaute ich zu. Dabei habe ich mich wohl nicht mehr gut genug versteckt, denn plötzlich rief einer der Männer etwas und zeigte auf mich. Erschrocken versteckte ich mich wieder hinter dem Haus.

Nach einer Weile wurde es still, die Sirenen waren jetzt aus. Ich drehte die Pistole in meinen Händen und schaute sie genau an. Da war ein kleiner Hebel an der Seite, den konnte man hoch und runter drehen. Komischerweise war das Metall warm, das war mir vorher nicht aufgefallen.

Sie roch auch seltsam. Ich nahm sie in beide Hände und spielte Schießen.

Plötzlich stand ein Mann vor mir, der ganz schwarz angezogen war, also auch so eine schwarze Mütze, dass man nur die Augen sehen kann. Er drehte sich zur Seite und winkte jemanden heran. Noch ein schwarzer Mann kam, aber während er vor mir in die Hocke ging, zog er die Mütze ab und es war eine Frau mit lustigen Sommersprossen.

Sie sagte: „Hallo, Kleine. Ich bin Jana, wie heißt Du?“ und lächelte mich freundlich an.

„Ich heiße Josefine.“

„Schön, dich kennen zu lernen, Josefine. Wie alt bist Du denn?“

Ich streckte ihr eine Hand entgegen und spreizte alle Finger: „Fünf!“

Sie lächelte immer noch. Dann fragte sie: „Womit spielst Du denn da? Das sieht nach einer tollen Pistole aus!“

Schnell versteckte ich die Pistole hinter meinem Rücken. „Die gehört mir! Ich habe sie ausgegraben und die Frau Menke will sie mir wegnehmen.“

Die Frau machte eine Tasche auf und zog etwas heraus. „Schau, ich habe auch eine Pistole. Zeigst Du mir Deine mal?“

Also ließ ich sie gucken. Sie bewunderte meine Pistole und konnte verstehen, dass ich nicht wollte, dass Frau Menke sie bekommt. Auch den kleinen Hebel an der Seite betrachtete sie genau. Sie hob einen Daumen. Dem schwarzen Mann wurde es wohl langweilig. Er ging weg.

Dann schlug sie vor: „Weißt Du was, ich schmuggele die Pistole für Dich hier raus und wenn Du größer bist, gebe ich sie Dir zurück und zeige Dir, wie man damit schießen kann!“

Und so machten wir es auch.

Als die Feuerwehr und alle schwarzen Männer weg waren, rief Frau Menke dann meine Mutter an und jetzt erzählt sie ihr alles.

 

Nur meine Abmachung mit Jana nicht, denn das ist unser Geheimnis!