Heinz bei uns 1

Seit 13. März ist Schwiegermutter im Krankenhaus. Schwiegervater Heinz ist dement und seither bis auf einige Tage bei uns. 

Heute, wir machen sein Bett bereit. Er ist davon angetan und fragt, wo die Füße hin sollen. Ich gebe ihm seinen Schlafanzug. Er fragt: Was soll ich damit?

Wir sagen ihm, dass er sich ausziehen soll. 

Er fragt: Warum soll ich mich ausziehen?

Ich sage: Du kannst ja nicht in deiner Hose und dem Hemd schlafen. Das ist zu unbequem.

Er: Ach was, warum kann ich nicht so schlafen? Wo soll ich denn schlafen?

GG: Komm, wir ziehen den Schlafanzug an. Zieh die Schuhe aus.

Er: Die Schuhe? Muss ich die ausziehen?

GG: Ja, damit kannst Du nicht schlafen.

Etwas später. Schlafanzug ist an.

Er: Wo ist meine Hose?

GG: Die liegt hier. Siehst Du.

Er: Ja, ja. Das Portemonnaie. Wo ist das?

GG: Das liegt hier auf dem Tisch. Siehst Du es?

Er: Ja, ja. Nicht dass es wegkommt.

Er: Gehst Du jetzt schlafen? Soll ich jetzt schlafen?

GG: Wir gehen gleich schlafen. Du musst noch nicht schlafen. 

Es ist 21:30 Uhr. Heinz hat die letzten 1 1/2 Stunden im Sessel vor dem Fernseher geschlafen. 

Die Zeit mit ihm ist anstrengend, ohne Frage. Er braucht viel Hilfe, beim an- und ausziehen, bei der Körperhygiene, bei der Orientierung. Seine Toilettengänge sind unterirdisch. Er zieht nicht ab, wäscht sich nicht die Hände, pinkelt im Stehen auf die Brille und den Boden.

Aber wenn er vor Dir steht, diesen Blick in den Augen, der fragt, wo bin ich, was passiert hier? Diese absolute Hilflosigkeit, Einsamkeit, Erschrecken, Fassungslosigkeit. Er ist so klein geworden. 

GG: Willst Du schlafen gehen?

Er: Ich schlafe hier und morgen fahre ich nach Hause.

Er: Das hab ich nicht nötig. Ich will nach Haus. Da kommen die Räuber. Die brechen bei mir ein und machen alles kaputt. 

 

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Heinz bei uns 2

Gestern früh ist mein Göga früh aufgestanden und gleich duschen gegangen. Ich lag noch im Bett und döste vor mich hin. Dann höre ich im Babyphon:

Das sind doch alles Verbrecher hier.

Die wollen mich verarschen.

Die haben mein Geld geklaut.

Ich geh jetzt auf die Straße und rufe um Hilfe.

Dann kommt die Polizei.

Langsam dringt das Gehörte ins Bewusstsein. Ein Blick nach links, mein Mann ist auf. Ich warte auf Worte, mit denen er seinen Vater beruhigt. - Sie kommen nicht.

Heinz schimpft weiter. Kein Göga. Kein Göga!

Halbwach springe ich aus dem Bett, springe wie eine (alte) Gazelle die Treppe hinauf.

Heinz steht in der Küche. Verloren. Unglücklich.

Die Haustür steht auf.

"Die haben mein Geld geklaut. Ich laufe jetzt auf die Straße. Dann kommt die Polizei!"

"Niemand hat Dein Geld geklaut. Komm, wir schauen nach." Ich führe ihn ins Wohnzimmer. Er schimpft vor sich hin In der Hosentasche finde ich sein Portemonnaie und drücke es ihm in die Hand. Dann schließe ich die Haustür und koche Kaffee. Ohne Kaffee verweigert mein Gehirn den Dienst.

Alles wieder gut. 

Mit Göga verabrede ich, dass er mir Bescheid gibt, wenn er duschen geht, damit Heinz nicht allein ist. 

 

Heute (Ostersamstag) steht Göga um 6:45 Uhr auf. Ich war spät im Bett und konnte lange nicht einschlafen. Dennoch schleichen sich die Geräusche des Babyphons in mein Gehirn und lösen Alarm aus. 

Um 7 Uhr bin ich körperlich aufgestanden. Göga war schon im Bad und überredet gerade Heinz dazu, sich zu waschen und saubere Unterwäsche und Socken anzuziehen.

Im Halbschlaf setzte ich Kaffee auf. Dann meldet sich meine Blase. In der Toilette das normale Bild seit Heinz hier ist. Der Boden voller Urin, diesmal auch hinter der Toilette, die Brille bepinkelt, Urin, der an der Toilettenschüssel außen herab gelaufen ist.

Erst mal putzen. 

Wissend, dass ich wieder mindestens 5-6 mal heute wieder putzen muss. Halbwach, aber mitten im Leben.

Urlaub ist anders.

Dann Frühstück. Dann ich einkaufen, Göga und Kinder wollen um 12:30 Uhr weg, dann muss ich wieder da sein, damit Heinz nicht allein ist.

Ich gehe oben auf Toilette, weil er gerade hier gegangen ist. Bevor ich wieder putze, muss ich selbst mal. 

Oben auch alles voll. Putzen angesagt. 

Kennt ihr Honig im Kopf?

 

So und noch mehr ist unser Alltag.

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Heinz bei uns 3

Vieles kann man mit Verständnis und Humor wegstecken. Manchmal hilft weder Verständnis noch Humor. Dann nämlich, wenn es gefährlich wird. Gefährlich für Heinz und für andere. 

Heute war es so. 

Der Tag begann wie sonst auch. Nach seinem Toilettengang morgens habe ich die Toilette geputzt. Heinz war noch im Schlafanzug, als Göga Brötchen holen fuhr. Wir haben derweil Kaffee getrunken. Dann musste er wieder "pinkeln". Er hat sogar abgezogen. Da er wieder aus der Gästetoilette heraus kommen wollte, sagte ich: "Wasch dir noch die Hände, Heinz."

Er schaute seine Hände an und drehte sie hin und her, als wollte er den Schmutz suchen, der daran war.

"Hände waschen? Muss ich das?", fragte er unsicher.

Mit fester Stimme antwortete ich: "Das macht man so, wenn man auf der Toilette war!"

Beeindruckt drehte er sich um und verschwand wieder. Allerdings hörte ich kein Wasser laufen. Statt dessen betätigte er noch zweimal die Spülung. Dann stand er in der Tür und hielt mir seine nassen Hände entgegen.

Ich griff an ihm vorbei und öffnete den Wasserhahn. "Schau, hier ist das Waschbecken, da läuft Wasser und das" ich zeigte ihm den Seifenspender, "ist die Seife. Halt mal Deine Hände da hin, dann tu ich Seife darauf, damit du die Hände waschen kannst."

Er sah skeptisch die Flüssigseife auf seinen Fingern an. Dann hielt er die Hände versuchsweise unter das laufende Wasser und rieb sie aneinander. Schaum entstand. Seine Miene entspannte sich und er wusch sich die Hände.

Als er fertig war, gab ich ihm ein Handtuch und schloss den Wasserhahn.

Während er sich abtrocknete, überzog ein breites Lächeln sein Gesicht: "Das wusste ich ja nicht, das das ein Ding zum Händewaschen ist. Das ist toll - und das Wasser ist schön warm."

-

Wir frühstückten zusammen und dann fuhren wir ins Krankenhaus, die Schwiegermutter besuchen. Alles war gut, bis Göga ein Thema aufgriff, dass schon mehrmals auch mit Heinz besprochen wurde und bis dahin von ihm auch gut geheißen wurde. Im Haus der Schwiegereltern sollte ein Treppenlift eingebaut werden und das Bad mit einer ebenerdigen Dusche versehen werden. Göga schlug vor, dass er in zwei Tagen mit Heinz zu dessen Neffen B. fahren würde, um sich wegen des Bads zu erkundigen. B. ist Installateurmeister wie Heinz und dessen Lieblingsneffe, auf den er nichts kommen lässt.

Dann schlug Heinz Stimmung um. "Ihr macht alles hinter meinem Rücken! Wenn der B. irgendwas in meinem Haus macht, verklag ich den. Ich bin der Boss. Das ist mein Haus. Ihr Verbrecher! Du willst mein Haus haben! Die wollen mir mein Haus wegnehmen." So ging es immer weiter. Er steigerte sich hinein. Themenwechsel wurden ignoriert, beschwichtigen ging gar nicht.

Dann fuhren wir nach Hause. Es schien, als wäre das Thema erledigt. Heinz saß vor dem Fernsehen, ich begann, Kartoffeln zu schälen.

Plötzlich fing er wieder an. "Das sind doch alles Verbrecher! Die wollen mir mein Haus wegnehmen. Dann soll er doch arbeiten gehen, dann kann er auch ein Haus bauen!" Und so weiter.

Dann stand er in der Küche.

Ich frage: "Brauchst du etwas? Was möchtest Du?"

"Ich will nach Hause! Die Verbrecher wollen mein Haus stehlen!"

Nichts half. Er steigerte sich immer mehr in seine Erregung hinein. "Lass mich doch gehen! Das ist Entziehung! Ihr haltet mich hier fest! Das ist nicht erlaubt! Ich will hier raus! Ich gehe jetzt raus!"

"Ich hole mir ein Taxi, das fährt mich nach Hause!"

Ohne Jacke war er auf der Straße.

Göga und ich blicken uns unsicher an. Ich sage, dass ich ihm hinterher gehe, weil er sich auf Göga als Feindbild eingeschossen hat. Draußen hat Heinz schon einen Spaziergänger angesprochen, ob er ihm ein Taxi rufen kann. Zum Glück kann er mein tonloses "Er ist dement" und mein Kopfschütteln richtig interpretieren und sagt, dass er jetzt nicht nach Hause gehen kann, um ein Taxi zu rufen.

Er geht weiter. Genau in dem Moment kommen die Nachbarn zwei Häuser weiter nach Hause, ein junges Paar mit zwei kleinen Kindern. Sie wohnen noch nicht lange hier, so dass wir uns nur vom Sehen und Grüßen kennen.

Heinz läuft über die Straße und fragt: "Können Sie mir ein Taxi rufen?"

Ich versuche, mimisch zu vermitteln, dass sie es nicht tun sollen. Beide sind von der Situation verwirrt. Der Mann sagt zu Heinz: "Ich habe jetzt keine Nummer, aber ich schaue nach." Zweifelnd blickt er mich an, aber da ich nichts sage, bringen er und seine Frau die Kinder rein. Er kommt wieder raus, ein Telefon und einen Zettel in der Hand, auf der er die Telefonnummer eines hiesigen Taxiunternehmens notiert hat. Auch die junge Frau kommt kurz danach zurück. Es gelingt mir, ohne dass Heinz es mitkriegt, die Situation kurz zu erklären.

Heinz ist inzwischen weiter gegangen. Die junge Frau bietet an, ihn aufzuhalten, damit ich seine Jacke holen kann. Gern nehme ich dieses Angebot an. Tatsächlich hat sie ihn in ein Gespräch verwickelt und ich kann ihm die Jacke anziehen und den Reißverschluss schließen. Heinz dankt mir für die Jacke und geht weiter. Ich bedanke mich bei der jungen Frau und folge Heinz, der inzwischen mitten auf der Straße läuft.

"Heinz, komm auf den Bürgersteig. Du bist mitten auf der Straße. Hier fahren Autos."

"Wenn ein Auto kommt, dann bin ich weg."

"Aber die Autos sind schneller als du!"

"Ich bin auch schnell. Ich bin ja nicht blöd. Wenn ein Auto kommt, dann bin ich weg."

Also laufen wir mitten auf der Straße weiter. Zum Glück ist das hier eine 30-Zone und praktisch nur Anwohner fahren hier. Der Straßenverlauf ist eng, so dass man sehr langsam fährt.

Immer wieder spricht er Leute an, will, dass sie ihm ein Taxi rufen. 

 

Irgendwann sind wir außerorts. Weil ich mich immer zwischen ihn und die Straße stelle, damit er nicht überfahren wird, wird er aggressiv und schlägt mich. Ich rufe die Polizei, als ich mir nicht mehr zu Helfen weiß.

Als der Streifenwagen vor uns hält, läuft Heinz zum Polizisten und fragt: "Sind sie ein Taxi?"

Der Polizist antwortet: "Wir sind die Polizei!"

"Das ist gut. Die da will mich! Ich will nach Hause!"

Der eine Polizist kümmert sich um Heinz, der andere um mich. Vor lauter Erleichterung breche ich in Tränen aus. Ich erkläre die Situation.

Der Polizist ist sehr verständnisvoll und meint: "Rufen Sie uns das nächste Mal sofort. Dafür sind wir da."

Sie bringen uns nach Hause und bleiben noch eine Weile, bis Heinz sich beruhigt hat.

 

Update Juni 2017: In einer solchen Situation, wo Eigengefährdung und Fremdgefährdung durch den Kranken besteht, sollte man die 112 rufen und eine Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung veranlassen.  Wir wussten damals nicht, dass das eine Möglichkeit ist. Wir haben es bis zum Schluss ausgehalten und selber dadurch starke psychische Belastungen erlebt. Zeitweise bis über die Grenze hinaus. Natürlich ist der demente Mensch nicht verantwortlich, er handelt nur aus dem Gefühl heraus. Aber es gibt Möglichkeiten, mit Medikamenten solche Eskalationen, die alle Beteiligten verletzen, zu verhindern. 

In der Rückschau wäre es für alle leichter gewesen, wenn wir damals davon gewusst hätten.

 

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Heinz bei uns 4

Die dritte Woche ist vorbei. Bei jedem Toilettengang zeigen wir ihm den Weg. Am Esstisch hat er immer den gleichen Platz, den wir ihm jedesmal zeigen.

Ihm gegenüber sitzt normalerweise Sohn 2, der seit ein paar Wochen den Führerschein hat und oft die Fahrten mit Heinz übernimmt. 

Vorgestern war Sohn 2 nicht da. Aber Sohn 3 hatte Besuch von seinem Freund, der auch hier übernachtet hat. Die beiden sind etwa 5 Jahre jünger als Sohn 2.

Beim Abendessen saß also der Freund auf dem Platz, den sonst Sohn 2 einnimmt. Heinz ist an dem Abend sehr an Sohn 2 interessiert, er denkt, dass der Freund dieser ist.

Mit seinen Fragen nach Autofahren, Freundin, Rasieren verwirrt er den Jungen, der sowieso eher ruhig ist und treibt ihm die Röte ins Gesicht. Egal, wie oft wir darauf hinweisen, dass es nicht Sohn 2 ist, Heinz kann das nicht erfassen und befragt den Jungen weiter.

Zum Glück war das Essen irgendwann vorüber, so dass die Jungs aus dem Sichtfeld von Heinz verschwinden konnten. 

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Heinz bei uns 5

Vielleicht ist es nicht schlecht, mal aufzuschreiben, was Heinz schon alles verloren hat. 

Heinz ist inzwischen in einem Lebensstadium angekommen, als er noch nicht verheiratet war. Die Highlights seiner Erinnerung lassen ihn wissen, dass er verheiratet ist, aber er weiß nicht, wie seine Frau heißt.  Manchmal weiß er auch, dass er Kinder hat, aber Namen sind nicht mehr präsent.

 

Die motorische Demenz ist inzwischen so fortgeschritten, dass er sich nicht mehr ankleiden kann.

Bei angezogenen Sachen kann er keine Knöpfe und keine Reißverschlüsse selbständig schließen.

Außerdem kann er die Notwendigkeit des täglichen Wechselns der Unterwäsche und der Socken nicht nachvollziehen und muss dazu aufgefordert werden.

Bei der Körperpflege braucht er mindestens erst mal die Aufforderung dazu, dann die Anleitung und Assistenz, z.B. Anreichen der Seife beim Händewaschen oder Zahnpasta auf die Zahnbürste.

 

Er ist bisher noch nicht inkontinent, allerdings sind seine Toilettengänge mit Arbeit verbunden.

Man muss ihn bis zur Toilette geleiten (er stand schon in der Küche vor dem Herd und im Flur vor dem Garderobenschrank).

"Er pinkelt im Stehen, weil er ein Mann ist" (seine Aussage). Dumm nur, dass er nicht mehr zielen kann.

Boden, Wände, Toilette, Brille müssen jedesmal geputzt werden. Jedesmal. 5-6 mal täglich.

Meistens lebt er meiner Meinung nach in einer Zeit vor 1958, dem Jahr seiner Hochzeit.  

Manchmal scheint ihm bewusst, dass etwas fehlt. Dann fragt er, ob er verheiratet ist und ob er Kinder hat. Manchmal kennt er nur nicht die Namen und Gesichter, weiß aber, dass diese fehlen.

Leider ist er schon immer ein intoleranter Mensch mit fragwürdigen Überzeugungen z.B. bezüglich Ausländern und Hitler gewesen. Diese haben sich leider nicht gemildert, sondern sind mit der Krankheit gleichsam zementiert worden. Auch andere negative Persönlichkeitsmerkmale haben sich verstärkt.  Es war immer schwierig, mit ihm auszukommen, in seinen halbklaren Phasen ist es praktisch unmöglich. Er wird verbal und körperlich ausfallend. 

Am einfachsten sind die Zeiten, wo er nichts mehr weiß. Das ist schrecklich und obwohl er mich immer abgelehnt hat und ich ihm gegenüber sehr distanziert war, treibt es mir oft vor Mitleid die Tränen in die Augen. Selbst ein solches Ekel wie er hat es nicht verdient, alles, was sein Leben ausmacht, zu vergessen. Diese Krankheit ist entsetzlich. Niemand sollte das erleiden müssen.

 

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