Die Luft knisterte.
Sandra ließ das Ding vor Thomas Augen baumeln: „Kannst Du mir mal erklären, was das ist?“ Das Ding war ein Dessous aus Latex. Sie hatte es nie zuvor gesehen, geschweige denn getragen.
Als Thomas Blick auf das Latexgebilde fiel, entfuhr ihm: „Da ist es ja! Super, Schatz, wo hast Du das gefunden? Ich habe schon ewig danach gesucht!“ Freudestrahlend näherte er sich Sandra mit geöffneten Armen.
Diese wich der Umarmung aus und giftete: „Zwischen Rücksitz und Lehne war es. Wie lange wartet Dein Schmusi denn auf ihr Schmuckstück?“ Das letzte Wort spie sie hinaus, wie einen Schleimpfropf beim Husten.
Thomas fuhr zurück: „Sandra, Liebes, das hast Du völlig in den falschen Hals bekommen. Lass mich erzählen."
Es war ein Abend in der Sahara, kalt und von Geräuschen erfüllt. Alle anderen Safariteilnehmer hatten sich zurückgezogen, nur Burrbur und Thomas versorgten die Tiere, die sich am Rand des Lagers niedergelassen hatten. Nicht zum ersten Mal fiel Burrburs Blick prüfend auf den Deutschen, der wie selbstverständlich bei jeder Arbeit anpackte. Ich habe nichts zu verlieren, dachte er und fragte auf dem Rückweg: „Si Tomás, kannst Du mit einem Gewehr umgehen?“
Thomas runzelte die Stirn: „Ja, einigermaßen. Warum fragst Du das?“
Doch Burrbur murmelte nur: „Gut“ und ging zu seinem Schlafplatz.
Achselzuckend lauschte Thomas einen Augenblick dem hohen Kläffen eines Fennek, sog den würzigen Geruch des verglimmenden Feuers ein und ging zu seinem Zelt.
Ein Rütteln ließ ihn Stunden später hochfahren. Er ahnte Burrbur vor sich, der einen Finger auf den Mund legte und mit der anderen Hand auffordernd winkte. Ob etwas mit den Tieren ist, fragte sich Thomas und schälte sich aus den Decken. Im Licht der Sterne folgte er dem Marokkaner, der ein Gewehr auf dem Rücken trug.
Burrbur deutete auf zwei gesattelte Kamele, nahm die Zügel der Tiere und entfernte sich in die Wüste.
Thomas überlegte, ob er ins Zelt zurückkehren sollte. Ach, was solls! Jetzt bin ich einmal wach. Was Burrbur wohl vorhat? Er beeilte sich, den Anderen einzuholen.
„Stell keine Fragen.“ Burrburs Stimme klang angespannt. „Wir haben nicht viel Zeit. Hier, nimm das.“ Damit drückte er Thomas das Gewehr in die Hand, bestieg eines der Kamele und ritt davon. Er drehte den Kopf, sah Thomas zögern und meinte: „Es ist ganz ungefährlich! Komm jetzt!“
Thomas kletterte in den Sattel und lenkte das Kamel hinter Burrbur her. Wenn alles so harmlos ist, wozu ist dann das Gewehr? Warten wir’s ab.
In einem Dünental war der Ritt zu Ende. Die Luft schien durch Burrburs Nervosität zu vibrieren. Kein Laut war zu hören.
Burrbur deutete nach rechts. „Si Tomás, wenn dort jemand auftaucht, schieß in die Luft. Wenn Du schießt, komme ich sofort zurück!“ Er nahm ein Päckchen und verschwand.
Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, entsicherte Thomas das Gewehr. Das Knacken klang wie eine Explosion, er zuckte zusammen. Rasch musterten seine Augen den Dünenkamm. Nichts zu sehen. Bilder schlichen in seinem Kopf: Burrbur, der sich in ein Zelt schleicht und mit einem Dolch auf jemanden einsticht, Polizei überall. Was mache ich hier? Wie finde ich das Lager, wenn Burrbur nicht zurück kommt? - Was ist das?
Ein Schatten bewegte sich rechts von ihm, weitere kamen dazu. Reflexartig hob Thomas das Gewehr und drückte ab. Er rannte zu seinem Kamel. Im nächsten Moment sprang Burrbur atemlos auf sein Tier und sie flogen über den Sand. Hinter ihnen erklangen aufgebrachte Rufe.
Burrbur hielt sich in den Tälern. Bald hatte Thomas die Orientierung verloren. Die Stimmen hinter ihnen wurden leiser und verstummten.
Im Morgengrauen erreichten sie das Lager. Schwer atmend presste Thomas hervor: „Was sollte das? Was ist da passiert?“
Burrbur nestelte an seinem Brustbeutel und zog ein Foto hervor. „Das ist Nouria“ strahlte er. „Meine Sonne, mein Leben! Ich habe ein Schmuckstück für sie, schwarz wie ihre Augen und zierlich wie ihre Hände. Sie sah es im Internet und es gefiel ihr.“ Er öffnete das Bündel und zeigte Thomas stolz das Geschenk. „Wir wollten uns heimlich treffen, aber ihre Brüder haben es gemerkt. Daher mussten wir fliehen.“
Er drückte Thomas das Päckchen in die Hand: „Kannst Du das für mich aufheben? Es ist unschicklich, wenn jemand Frauenzeug bei mir findet.“
Thomas schob das Bündel in die Seitentasche seines Rucksacks, schmunzelnd, weil das Schmuckstück ein Erotikartikel war.
„Am nächsten Tag zwang uns eine Sandhose zu einem Umweg, so dass wir zu spät in M’Hamid ankamen. Die Busse warteten. In der Hektik vergaß ich das Päckchen.
Als Du mich vom Flughafen abgeholt hast, habe ich den Rucksack auf die Rückbank geworfen. Dabei muss es herausgerutscht sein. Ich bekam eine Email von Burrbur. Er bat mich, ihm das Schmuckstück zu schicken. Seither suche ich überall - und Du hast es gefunden! Danke!“
Damit drückte Thomas Sandra einen Kuss auf die Lippen. Er griff nach dem Dessous: „Ich mache gleich das Päckchen fertig. Mensch, wird Burrbur sich freuen!“
Mit offenem Mund starrte Sandra ihm hinterher. Burrbur - ach so!?