Heute war es dann soweit. Schwägerin und Schatz fuhren früh zu Heinz. Vorsorglich hatten wir Igor gesagt, dass er ihm morgens eine Tavor geben sollte, damit er sich nicht aufregt.
Als die Beiden dort ankommen, sind sie von der Wirkung entsetzt! Heinz ist nicht ansprechbar, kann sich nicht artikulieren und auch nicht selbständig laufen. Das hatten wir so nicht erwartet, da uns in irgendeinem der vielen Beratungsgespräche gesagt wurde, dass es auch kein Problem sei, wenn ältere Menschen es regelmäßig nehmen!
Gemeinsam trugen Igor und Schatz Heinz zum Auto und setzten ihn hinein. Dann fuhren sie auf den Friedhof, wo Heinz aber im Auto sitzen blieb (wir haben eine Genehmigung, mit dem Auto bis ans Grab zu fahren), während Schwägerin und Schatz Blumen gossen, eine neue Kerze aufstellten und den Blumenstrauß erneuerten. Anschließend trafen wir uns gegen 11 Uhr im Pflegeheim. Dort wurde Heinz von mehreren Pflegern und Pflegerinnen begrüßt und aufgrund seiner Sedierung erst einmal ins Bett verfrachtet.
Während Schwägerin und Schatz noch Sachen aus dem Auto holten, blieb ich bei Heinz, hielt seine Hand.
Er fragte mich: "Sind denn die Leute schon alle tot?"
"Welche Leute denn, Heinz?"
"Das hier ist ein Haus, wo die hingehen, die wissen, dass sie sterben. Die noch zwei oder drei Tage leben und dann sind sie tot!"
Ich drückte seine Hand und sagte: "Nein, das ist ein Haus zum Leben. Hier wohnen viele Menschen, die bei manchen Sachen Hilfe brauchen. Hier wird geholfen."
"Die sterben alle bald!" Er macht sich Sorgen, er hat Angst.
"Nein", sage ich. "Die leben hier."
"Aber die wissen, dass sie sterben."
"Jeder muss irgendwann sterben. Ich, du und jeder. Aber niemand weiß, wann das sein wird. Heute, morgen oder in vielen Jahren. Auch die, die hier wohnen, können noch viele Jahre leben."
So ging es immer weiter, bis die Anderen wieder da waren. Dann ging ich ins Büro, um den Antrag auf Vollzeitpflege zu zeigen und abstempeln zu lassen, damit wir ihn einreichen konnten.
Die beiden Damen waren sehr nett, wie bisher jeder, den wir dort kennen gelernt haben. Sie boten an, den Antrag gleich nach dem Stempeln zur Pflegekasse zu faxen, damit wir ihn nicht per Post schicken müssen. Das Faxprotokoll gaben sie mir auch gleich mit. Dann kam die Sprache auf das Gespräch mit dem sozialen Dienst, welches wir heute auch noch vereinbart hatten, damit wir dafür nicht wieder Urlaub nehmen müssen. Ich sagte, dass wir nicht wüssten, um welche Uhrzeit das stattfinden würde. Sofort wurde mit der zuständigen Dame telefoniert, um das abzuklären. Gegen viertel vor eins würde die Dame uns in Heinz Zimmer abholen. Beide wiesen noch darauf hin, dass wir auch an uns denken sollten und in der Cafeteria etwas essen sollten.
Oben erzählte ich den Beiden alles. Heinz wurde von einem Pfleger der Blutdruck gemessen. Alle Pflegepersonen haben sich uns und Heinz vorgestellt, wenn sie ins Zimmer kamen.
Vor der Zimmertür ist ein Namensschild, welches mit Heinz Namen versehen ist. Daran hing ein Schild mit einem Herzen aus Blumen und der Aufschrift: Herzlich willkommen. Das Zimmer ist direkt gegenüber vom Aufenthaltsraum, wo die Bewohner auch essen oder miteinander spielen oder reden. Direkt neben dem Aufenthaltsraum ist das Stationszimmer, wie man im Krankenhaus sagen würde. Wie es dort heißt, weiß ich noch nicht.
Wir sind dann in die Cafeteria. Es gibt jeden Tag zwei Essen zur Auswahl. Vorspeise, Hauptgang und Nachtisch. Sonntags gibt es nur ein Essen. Das Essen war noch nicht fertig - es wird dort frisch gekocht - so dass es uns zu lange Zeit in Anspruch nehmen würde. Wir haben einen Kaffee getrunken und sind dann wieder zu Heinz gegangen.
In der Zwischenzeit ist ihm wohl Blut abgenommen worden. Als wir kamen, hat gerade ein Pfleger seinen Blutdruck gemessen. Zwischenzeitlich war auch der Arzt da und hat sich die Akten mitgenommen. Dann wurde Heinz zum Wiegen abgeholt.
Mit den Medikamenten gab es irgendwie Missverständnisse. Wir hatten dem Pflegedienst ja extra Bescheid gegeben, dass er die Medikamente für die nächste Woche noch mitbringen soll. das ist auch geschehen und wir haben diese in den gelieferten Blistern mit ins Pflegeheim genommen. Auf jedem Abschnitt steht aufgedruckt: Patient, Tag, Uhrzeit und enthaltene Medikamente. Die Pflegerin auf Station meinte, dass sie geblisterte Medikamente nicht verwenden würden. Wir könnten sie wegwerfen. Später kam dann eine andere Dame, die sich auch den Dekubitus angesehen hat und sagte, dass diese Blister, da sie ausführlich beschriftet sind, durchaus verwendet werden können. Also habe wir ihr die Medikamente gegeben.
Zum Mittagessen wurde Heinz geholt und gefüttert - allerdings wird im Pflegeheim nicht das Wort "füttern" verwendet, sondern darreichen. Er hat die ihm dargereichte Mahlzeit gegessen.
Die Dame vom sozialen Dienst hat uns dann abgeholt.
Sie hat uns erzählt, was sie alles machen und uns einen Stapel Blätter zum Ausfüllen gegeben, die Heinz Biografie betreffen. Während wir bei ihr waren, kam ein Anruf, ob sie sich bitte um Heinz kümmern könnte, da er unruhig wäre. Sie sagte, dass sie gerade im Angehörigengespräch für Heinz wäre und organisierte jemand anders, der sich um Heinz kümmerte.
Es wurde uns dann erklärt, dass sie ein Vertrauensverhältnis zu ihm aufbauen werden. Dazu würde auch gehören, dass man sich irgendwann mit Vornamen anredet und duzt. Nicht alle Angehörigen wären da offen, aber sie sehen es als wichtig an, das Vertrauen zu gewinnen. Wir finden das sehr gut.
Wir gehen gemeinsam zu Heinz. Er sagt, dass er Hunger hat. Dabei hat er eben erst zu Mittag gegessen. Aber das ist kein Problem. Es wird ein großer Teller mit verschiedenem Obst, das in mundgerechte Stücke geschnitten ist, hergerichtet. Dann wollen die beiden Damen vom sozialen Dienst mit Heinz nach unten in den Garten. Auf dem Weg ist noch eine Bewohnerin, die auch raus möchte. Also wird sie kurzerhand mitgenommen. Inzwischen war es 14 Uhr. Wir wurden sanft hinauskomplimentiert.
Im Gespräch mit verschiedenen Damen wurden folgende Sachen erwähnt:
Wir sollten jetzt in der Eingewöhnungsphase erst mal nicht kommen.
Wir werden aber in den ersten zwei Wochen mit Berichten zu allem und jedem "zugeworfen" werden.
Sie haben die Erfahrung gemacht, dass die sedierenden Medikamente, die Heinz auch bekommt, für die Bewohner eher schlecht sind. Je weniger Medikamente, umso eher können die Bewohner eigene Entscheidungen treffen und fühlen sich wohler.
Jede Woche kommt der Hausarzt ins Heim.
Alle zwei Wochen kommt der Neurologe.
Mein Eindruck ist sehr gut. Es wurde betont, dass man sich um Heinz als Neuzugang in den nächsten Tagen verstärkt kümmern wird. Für heute, aufgrund der Neuaufnahme, war eine ständige Begleitung da, damit er nicht allein ist.
Jetzt muss erst mal Ruhe reinkommen. Gleichmäßige Tagesabläufe, Bezugspersonen, Mitbewohner.
Damit Heinz sich geborgen und aufgehoben fühlen kann. Gefühle sind ja inzwischen fast das Einzige, was ihm geblieben ist. Ich hoffe, dass er vergessen hat, dass er dachte, er wäre jetzt im Hospiz und würde nur noch zwei bis drei Tage leben. Das hat ihm heute früh echt zu schaffen gemacht.
Wir können jederzeit anrufen.
Das werden wir tun.
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