Heinz bei uns 3

Vieles kann man mit Verständnis und Humor wegstecken. Manchmal hilft weder Verständnis noch Humor. Dann nämlich, wenn es gefährlich wird. Gefährlich für Heinz und für andere. 

Heute war es so. 

Der Tag begann wie sonst auch. Nach seinem Toilettengang morgens habe ich die Toilette geputzt. Heinz war noch im Schlafanzug, als Göga Brötchen holen fuhr. Wir haben derweil Kaffee getrunken. Dann musste er wieder "pinkeln". Er hat sogar abgezogen. Da er wieder aus der Gästetoilette heraus kommen wollte, sagte ich: "Wasch dir noch die Hände, Heinz."

Er schaute seine Hände an und drehte sie hin und her, als wollte er den Schmutz suchen, der daran war.

"Hände waschen? Muss ich das?", fragte er unsicher.

Mit fester Stimme antwortete ich: "Das macht man so, wenn man auf der Toilette war!"

Beeindruckt drehte er sich um und verschwand wieder. Allerdings hörte ich kein Wasser laufen. Statt dessen betätigte er noch zweimal die Spülung. Dann stand er in der Tür und hielt mir seine nassen Hände entgegen.

Ich griff an ihm vorbei und öffnete den Wasserhahn. "Schau, hier ist das Waschbecken, da läuft Wasser und das" ich zeigte ihm den Seifenspender, "ist die Seife. Halt mal Deine Hände da hin, dann tu ich Seife darauf, damit du die Hände waschen kannst."

Er sah skeptisch die Flüssigseife auf seinen Fingern an. Dann hielt er die Hände versuchsweise unter das laufende Wasser und rieb sie aneinander. Schaum entstand. Seine Miene entspannte sich und er wusch sich die Hände.

Als er fertig war, gab ich ihm ein Handtuch und schloss den Wasserhahn.

Während er sich abtrocknete, überzog ein breites Lächeln sein Gesicht: "Das wusste ich ja nicht, das das ein Ding zum Händewaschen ist. Das ist toll - und das Wasser ist schön warm."

-

Wir frühstückten zusammen und dann fuhren wir ins Krankenhaus, die Schwiegermutter besuchen. Alles war gut, bis Göga ein Thema aufgriff, dass schon mehrmals auch mit Heinz besprochen wurde und bis dahin von ihm auch gut geheißen wurde. Im Haus der Schwiegereltern sollte ein Treppenlift eingebaut werden und das Bad mit einer ebenerdigen Dusche versehen werden. Göga schlug vor, dass er in zwei Tagen mit Heinz zu dessen Neffen B. fahren würde, um sich wegen des Bads zu erkundigen. B. ist Installateurmeister wie Heinz und dessen Lieblingsneffe, auf den er nichts kommen lässt.

Dann schlug Heinz Stimmung um. "Ihr macht alles hinter meinem Rücken! Wenn der B. irgendwas in meinem Haus macht, verklag ich den. Ich bin der Boss. Das ist mein Haus. Ihr Verbrecher! Du willst mein Haus haben! Die wollen mir mein Haus wegnehmen." So ging es immer weiter. Er steigerte sich hinein. Themenwechsel wurden ignoriert, beschwichtigen ging gar nicht.

Dann fuhren wir nach Hause. Es schien, als wäre das Thema erledigt. Heinz saß vor dem Fernsehen, ich begann, Kartoffeln zu schälen.

Plötzlich fing er wieder an. "Das sind doch alles Verbrecher! Die wollen mir mein Haus wegnehmen. Dann soll er doch arbeiten gehen, dann kann er auch ein Haus bauen!" Und so weiter.

Dann stand er in der Küche.

Ich frage: "Brauchst du etwas? Was möchtest Du?"

"Ich will nach Hause! Die Verbrecher wollen mein Haus stehlen!"

Nichts half. Er steigerte sich immer mehr in seine Erregung hinein. "Lass mich doch gehen! Das ist Entziehung! Ihr haltet mich hier fest! Das ist nicht erlaubt! Ich will hier raus! Ich gehe jetzt raus!"

"Ich hole mir ein Taxi, das fährt mich nach Hause!"

Ohne Jacke war er auf der Straße.

Göga und ich blicken uns unsicher an. Ich sage, dass ich ihm hinterher gehe, weil er sich auf Göga als Feindbild eingeschossen hat. Draußen hat Heinz schon einen Spaziergänger angesprochen, ob er ihm ein Taxi rufen kann. Zum Glück kann er mein tonloses "Er ist dement" und mein Kopfschütteln richtig interpretieren und sagt, dass er jetzt nicht nach Hause gehen kann, um ein Taxi zu rufen.

Er geht weiter. Genau in dem Moment kommen die Nachbarn zwei Häuser weiter nach Hause, ein junges Paar mit zwei kleinen Kindern. Sie wohnen noch nicht lange hier, so dass wir uns nur vom Sehen und Grüßen kennen.

Heinz läuft über die Straße und fragt: "Können Sie mir ein Taxi rufen?"

Ich versuche, mimisch zu vermitteln, dass sie es nicht tun sollen. Beide sind von der Situation verwirrt. Der Mann sagt zu Heinz: "Ich habe jetzt keine Nummer, aber ich schaue nach." Zweifelnd blickt er mich an, aber da ich nichts sage, bringen er und seine Frau die Kinder rein. Er kommt wieder raus, ein Telefon und einen Zettel in der Hand, auf der er die Telefonnummer eines hiesigen Taxiunternehmens notiert hat. Auch die junge Frau kommt kurz danach zurück. Es gelingt mir, ohne dass Heinz es mitkriegt, die Situation kurz zu erklären.

Heinz ist inzwischen weiter gegangen. Die junge Frau bietet an, ihn aufzuhalten, damit ich seine Jacke holen kann. Gern nehme ich dieses Angebot an. Tatsächlich hat sie ihn in ein Gespräch verwickelt und ich kann ihm die Jacke anziehen und den Reißverschluss schließen. Heinz dankt mir für die Jacke und geht weiter. Ich bedanke mich bei der jungen Frau und folge Heinz, der inzwischen mitten auf der Straße läuft.

"Heinz, komm auf den Bürgersteig. Du bist mitten auf der Straße. Hier fahren Autos."

"Wenn ein Auto kommt, dann bin ich weg."

"Aber die Autos sind schneller als du!"

"Ich bin auch schnell. Ich bin ja nicht blöd. Wenn ein Auto kommt, dann bin ich weg."

Also laufen wir mitten auf der Straße weiter. Zum Glück ist das hier eine 30-Zone und praktisch nur Anwohner fahren hier. Der Straßenverlauf ist eng, so dass man sehr langsam fährt.

Immer wieder spricht er Leute an, will, dass sie ihm ein Taxi rufen. 

 

Irgendwann sind wir außerorts. Weil ich mich immer zwischen ihn und die Straße stelle, damit er nicht überfahren wird, wird er aggressiv und schlägt mich. Ich rufe die Polizei, als ich mir nicht mehr zu Helfen weiß.

Als der Streifenwagen vor uns hält, läuft Heinz zum Polizisten und fragt: "Sind sie ein Taxi?"

Der Polizist antwortet: "Wir sind die Polizei!"

"Das ist gut. Die da will mich! Ich will nach Hause!"

Der eine Polizist kümmert sich um Heinz, der andere um mich. Vor lauter Erleichterung breche ich in Tränen aus. Ich erkläre die Situation.

Der Polizist ist sehr verständnisvoll und meint: "Rufen Sie uns das nächste Mal sofort. Dafür sind wir da."

Sie bringen uns nach Hause und bleiben noch eine Weile, bis Heinz sich beruhigt hat.

 

Update Juni 2017: In einer solchen Situation, wo Eigengefährdung und Fremdgefährdung durch den Kranken besteht, sollte man die 112 rufen und eine Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung veranlassen.  Wir wussten damals nicht, dass das eine Möglichkeit ist. Wir haben es bis zum Schluss ausgehalten und selber dadurch starke psychische Belastungen erlebt. Zeitweise bis über die Grenze hinaus. Natürlich ist der demente Mensch nicht verantwortlich, er handelt nur aus dem Gefühl heraus. Aber es gibt Möglichkeiten, mit Medikamenten solche Eskalationen, die alle Beteiligten verletzen, zu verhindern. 

In der Rückschau wäre es für alle leichter gewesen, wenn wir damals davon gewusst hätten.

 

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